Tag X im Osterholz Wald
25.01.2022
04:15 Uhr
Schon in den frühen Morgenstunden erkundet eine Polizeistreife mit Taschenlampen den Wanderparkplatz Hermgesberg ganz im Norden des Osterholz Waldes.
Kurze Zeit später fahren sie wieder.
04:45 Uhr
Zwei Mannschaftswagen der Polizei kommen erneut zum Wanderparkplatz. Sie führen allgemeine Fahrzeugkontrollen durch und schicken die dort stehenden Autos weg.
Währenddessen sind scheinbar von der anderen Waldseite schon Polizist*innen der Hundertschaft fußläufig in das Camp im Wald gegangen und haben laut Augenzeug*innen erst als sie alles umstellt hatten ihre Taschenlampen angemacht. Einige wenige Journalist*innen, waren bereits im Camp.
06:00 Uhr
Der ganze Osterholz Wald ist bereits mit Polizei gefüllt. Entlang der Wege stehen alle 10m Polizist*innen von der Bereitschaftspolizei (BePo). Das Camp ist mit Einheiten der Beweissicherung- und Festnahmeeinheit (BFE) komplett gesichert.
An der Mahnwache haben sich bereits ca. 25 Unterstützer*innen eingefunden. Wie jeden Tag findet sie unmittelbar neben dem rodungsbedrohten und besetzten Waldstück statt. Der erste Polizeikontakt verläuft ruhig. Zuerst scheint es, als ob die angemeldete Mahnwache an dem Ort bleiben darf.
06:21 Uhr
Journalist*innen dürfen sich im Camp nur mit enger Begleitung der BFE bewegen. Da die technische Einsatzeinheit (TEE) der Polizei erst im Hellen anfangen darf zu klettern, liegt der Fokus der Polizei bis dahin auf den bodennahen Strukturen. Abgesehen von zwei Planen-Konstruktionen im nördlichen Camp, handelt es sich dabei um das südliche Barrio. Dort gibt es den Tower bestehend aus drei Stockwerken mit Lagerräumen, verbunden durch eine Brücke zu einem Schlafraum. Am Boden befindet sich die Küchen-Struktur in Form einer Kochstelle und Sitzmöglichkeiten. Das Ganze ist von den Aktivist*innen mit einem Bauzaun und Barrikaden umzäunt worden. In diesem von der Polizei gesicherten Bereich des Camps haben Journalist*innen nun keinen Zugang mehr.
Ein große grünes Netz ist zwischen dem Tower und weiteren Bäumen in etwa 3m Höhe gespannt. Dort haben es sich zwei Aktivist*innen bequem gemacht. Ein*e weitere*r Aktivist*in sitzt im obersten Stockwerk des Towers, dem Balkon.
Bis auf den Balkon ist der ganze Tower von Polizist*innen gesichert. Sie reißen Banner und die Außenverkleidung ab, um den Tower einsehbar zu machen und sammeln mögliches Beweismaterial ein.
Alle bodennahen leer stehenden Strukturen, die von Beamt*innen der BFE erreicht werden können, werden durchsucht und unbrauchbar gemacht. Dabei scheinen Journalist*innen eher unerwünschte Beobachter*innen zu sein; Polizist*innen weisen sich gegenseitig darauf hin, wenn eine Kamera in der Nähe ist.
Angrenzend zum Tower kappen Beamt*innen der BFE einige Traversen (Seilkonstruktionen, um zwischen den Strukturen in den Bäumen zu klettern) der Aktivist*innen und schneiden Transparente herunter, die zwischen den Bäumen gespannt sind.
Die drei Aktivist*innen am Tower reden recht viel miteinander und sticheln die Polizist*innen humorvoll.
07:00 Uhr
Ein Mensch, der aus Richtung des Steinbruchs durch den Wald kam, wird von der Polizei aufgegriffen und durchsucht.
Durch ständige Begleitung von Polizist*innen wird die Pressearbeit stark verlangsamt.
Die Mahnwache wird nun auf die Weggabelung, weiter südlich von dem besetzten Waldstück verlegt. Eigentlich soll sie noch weiter südlich verlegt werden, aber die Unterstützer*innen wehren sich dagegen.
07:30 Uhr
Noch ist es dunkel; ein Argument für die Polizei Journalist*innen nicht frei herumlaufen zu lassen. Außerdem werden Journalist*innen aufgefordert sich nur noch im südlichen Barrio aufzuhalten.
Dieses wird weiterhin auseinander genommen, allerdings sind die Beamt*innen fast fertig damit.
Zu den drei Aktivist*innen in der Tower-Struktur wird kommuniziert, dass es noch dauern wird bis sie geräumt werden.
Immer wieder hallen die Rufe der Mahnwache durch den Wald “Osterholz bleibt!” und werden von den Aktivist*innen erwidert. Außerhalb davon scheint die Situation eher statisch zu sein.
Im Wald ist es inzwischen fast gruselig still.
08:00 Uhr
Langsam wird es hell. Zwei große Kettenbagger kommen vom Gelände des Steinbruchs, um die Barrikaden auf dem Wanderweg aus dem Weg zu räumen.
Dies geschieht beängstigend schnell.
Die Barrikaden halten die Maschine kaum auf.
Einer der Bagger rollt jetzt den Weg immer weiter nach Süden der Mahnwache entgegen und hält dabei immer nur kurz, um weitere Barrikaden aus dem Weg zu räumen.
08:25 Uhr
Der Bagger hat die Mahnwache erreicht. Diese wird nun von der Polizei aufgefordert sich bis 08:30 Uhr hinter die Weggabelung zu bewegen.
Der Plan der Polizei wird nun klar: Der Bagger soll von Süden her eine Schneise in den Wald zum südlichen Barrio reißen, um so die Aktivist*innen räumen zu können, doch noch versperrt die Mahnwache den Weg.
08:30 Uhr
Es hat sich spontan eine Sitzblockade auf der Weggabelung gebildet, um den friedlichen und angemeldeten Protest der Mahnwache zu schützen und den Bagger aufzuhalten.
Nach zwei Durchsagen den Platz freiwillig zu verlassen, drängt die Polizei zunächst die stehenden Teilnehmenden der Mahnwache von der Wegkreuzung. Dann wird innerhalb von wenigen Minuten die Sitzblockade, bestehend aus 17 Menschen, geräumt.
Dabei wird kein Mensch in Gewahrsam genommen.
Nun kann der Bagger passieren.
09:15 Uhr
Mit dem Bagger und Kettensägen wird begonnen eine Schneise vom Wanderweg zum südlichen Barrio zu schlagen.Gleichzeitig bringen Traktoren Unmengen Kies her, um aus der matschigen Schneise durch den Wald eine provisorische Straße zu bauen.
“Aus Sicherheitsgründen” werden alle Journalist*innen wenige Minuten später aus dem Bereich geschickt. Bis auf die Polizei ist jetzt niemand mehr bei den Aktivist*innen.
Das Gelände ist weiträumig mit Flatterband abgesperrt.
In den nächsten Stunden das gleiche Bild:
Kettensägen-Geräusche hallen durch den Wald, Bäume fallen. Kies wird herangeschafft, abgeladen und mit einer Walze verdichtet. So können später Autos und Hebebühnen bis zum Barrio fahren. Viele der Baumaschinen sind von der Firma Boels rentals. Nummernschilder und später auch Firmenschilder sind alle abgeklebt.
Zudem beginnt Oetelshofen den zu rodenden Bereich mit einem Bauzaun zu befrieden. Währenddessen sind die technische Einsatzeinheit (TEE) der Polizei mit ausgebildeten Höhenretter*innen und auch die Pressesprechenden der Polizei angerückt, welche nun den Kontakt mit der Presse koordinieren.
13:00 Uhr
Erst jetzt dürfen Journalist*innen wieder unter Begleitung den befriedeten Bereich und das darin liegende Camp betreten.
“Um mit den Störern zu reden”. Das ist auch das letzte Mal, dass die Presse ins Barrio darf. Kurz darauf beginnen die Beamt*innen von der TEE mit der Räumung der Aktivist*innen.
“Aus Sicherheitsgründen” werden Journalist*innen in einen abgesperrten Bereich etwa 60 m entfernt mit schlechter Sicht auf die polizeilichen Maßnahmen gebracht.
Südlich des Camps beginnt Oetelshofen bereits, den Wald mit Kettensägen und einem Harvester zu roden.
Als der Sicherheitsabstand zwischen Harvester und Pressebereich zu klein wurde, wird der Pressebereich verkleinert und weiter von den stattfindenden polizeilichen Maßnahmen entfernt.
14:40 Uhr
Jedes Baumhaus wurde von den Polizist*innen durchnummeriert. Immer wenn eine Struktur geräumt werden soll gibt es zwei Durchsagen der Polizei. Diese fordern die Aktivist*innen auf von den Bäumen runterzukommen. Wird diesen Anweisungen nicht Folge geleistet, werden die Strukturen mit polizeilichen Maßnahmen geräumt.
15:50 Uhr
Die Tower-Struktur ist komplett und ohne Widerstand der Aktivist*innen geräumt worden. Drei Menschen sind in Gewahrsam genommen worden.
Als nächstes nimmt sich die Polizei das angrenzende Baumhaus vor, aus dem nochmal zwei Aktivist*innen geräumt werden.
Auch diese werden von der Polizei abgeführt. Währenddessen wird der Pressebereich wieder etwas näher an das südliche Barrio gelegt.
Scheinbar haben die TEE noch in der Dämmerung einen weiteren Menschen aus einer Traverse geräumt und in Gewahrsam genommen.
Am ersten Tag der Räumung sind mindestens sechs Aktivist*innen geräumt worden. Das Baumhaus hoch über dem Tower und den nördlichen Teil des Camps konnte die Polizei noch nicht erreichen. Einige Beamt*innen der Polizei schlagen zur Bewachung über Nacht ihr Lager im umzäunten befriedeten Osterholz Wald auf.
26.01.2022 Tag zwei der Räumung
Laut Polizei habe sich am Morgen des zweiten Einsatztages ein Polizist bei der Fahrt mit einem Geländebuggy ohne Fremdeinwirkung schwer verletzt und sei ins Krankenhaus gebracht worden.
Zudem sind bereits zwei weitere Baumhäuser zerstört und ihre Bewohner*innen in Gewahrsam genommen worden.
Da am Morgen angeblich keine Presse im zu räumenden Teil des Camps war, bitten Aktivist*innen über Twitter um 09:17 Uhr darum, dass Journalist*innen kommen, um die Räumung zu dokumentieren.
12:20 Uhr
Es scheinen noch mindestens vier Strukturen besetzt zu sein. Am Waldrand in Richtung Steinbruch wird ein*e Aktivist*in aus der Traverse vor einem Baumhaus geräumt. Dazu klettern zwei Beamt*innen der TEE an den angrenzenden Bäumen hoch, befestigen ein Seil an der Traverse der*des Aktivist*in und schneiden die Traverse anschließend durch, sodass die Person langsam mit dem neu angebrachten Seil heruntergelassen werden kann.
12:56 Uhr
Die Person aus der Traverse wird am Boden von der TEE an die BePo übergeben und in Gewahrsam genommen. Zwei weitere Bewohner*innen des gleichen Baumhauses verlassen dieses nun und klettern höher in die Baumwipfel.
Gleichzeitig rodet Oetelshofen kontinuierlich von beiden Seiten des Waldes. Während Bäume auf den Waldboden krachen singen die Aktivist*innen “Jeder Baum zählt!”.
13:32 Uhr
Da das Baumhaus nun unbewohnt ist, wird es von der Polizei zerstört. Laut Polizeisprecher sei die Taktik, den Aktivist*innen ihre wärmenden Strukturen zu nehmen, damit sie die Nacht in den Baumkronen verbringen müssen. Sollten sie die kalte Nacht in den Bäumen überstehen, müsse morgen hier ebenfalls ein Schotterweg angelegt werden, um mit der Hebebühne hoch gelegene Orte räumen zu können.
14:52 Uhr
Aus einem niedrigen Baumhaus zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Camps wird ein Mensch mit einer kleinen mobilen Hebebühne geräumt und in Gewahrsam genommen. Währenddessen klettert die TEE auf das größte Baumhaus des nördlichen Camps. Die Bewohner*innen haben die Struktur zuvor verlassen und sind hoch in die Baumkrone geklettert. Nachdem das Baumhaus nach Beweismitteln durchsucht worden ist, wird es von der Polizei zerstört.
Eine Person auf einer weiteren Struktur wird per Polizeidurchsage aufgefordert, das Baumhaus zu verlassen. Die Person seilt sich umgehend aus dem Baum ab und weist sich der Polizei mit ihrem Presseausweis aus. Dennoch erhält die Fotografin einen Platzverweis und laut eigener Aussage eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
15:19 Uhr
Der südliche Teil des Camps ist kaum wiederzuerkennen. Wo gestern noch Tower und Küche des Barrios waren, hat die Polizei alles zerstört.
Ein großer Trümmerhaufen lässt kaum noch erahnen, wo welche Struktur stand. Seit gestern wurden bereits große Teile des Waldes gerodet und die Schotterstraße führt nun bis in das ehemalige südliche Camp.
Über diese neu angelegte Straße fährt jetzt ein Hubsteiger, mit dem die letzte Person aus dem südlichen Teil des Camps geräumt werden soll. Diese befindet sich in über 30m Höhe in einem kleinen Baumhaus weit über dem Küchenplatz.
Es dauert sehr lange den Hubsteiger auf dem Schotterboden zu stabilisieren und in Betrieb zu nehmen. So geht die Sonne bereits unter, als der Mensch von der TEE mit dem Hubsteiger aus dem Baumhaus geholt und am Boden in Gewahrsam genommen wird.
17:30 Uhr
Da es inzwischen zu dunkel für sicheres Arbeiten der Klettereinheit ist, kann die Polizei das Baumhaus nicht zerstören. In Absprache mit der Polizei beschließt Till Iseke, der Chef von Oetelshofen, den Baum samt Baumhaus zu fällen. Damit ist zum Ende des zweiten Tages der südliche Teil des Camps komplett geräumt und zerstört.
27.01.2022
(Wir sind leider nicht mehr vor Ort, daher bezieht sich folgende Zusammenfassung auf die Informationen Dritter)
Während Oetelshofen unaufhörlich weiter rodet, wird im nördlichen Teil des Camps ebenfalls ein Schotterweg angelegt, um dort im Verlaufe des Tages die restlichen Aktivist*innen räumen zu können.
Gegen 15:20 Uhr sind alle Aktivist*innen aus dem Wald geräumt. Die Polizei beendet ihre Arbeit, zieht aber nicht vollkommen ab, um die Rodungsarbeiten von Oetelshofen zu sichern.
Auch an den Tagen nach der Räumung finden angemeldete Mahnwachen im Wald statt.
Laut der Initiative “Osterholz bleibt” sind am 28.01.2022 alle der 15 in Gewahrsam genommenen Aktivist*innen wieder frei.